An der Bewertung der Nachfrage-Effekte zwischen Bahn und Fernbus scheiden sich die Geister: Die einen sehen den Fernlinienbus als ideale Ergänzung zur Bahn im Fernverkehr, die dazu führt, dass das System des öffentlichen Personenlinienfernverkehrs insgesamt an Wettbewerbsfähigkeit gewinnt. Die anderen stellen in Frage, ob es sich bei den Fahrten mit dem Fernbus tatsächlich um überwiegend substituierte Pkw-Fahrten handelt. Die Beantwortung der Frage stellt auch einen Kern zur Bewertung des neu geschaffenen Marktes für Reisen mit dem Fernbus dar. „Wie unseren Untersuchungen wiederholt zeigen, kommt es nicht zur gewünschten – und vor der Marktliberalisierung prognostizierten – primären Substitution des Pkw. Stattdessen verfügen die Nutzer von Fernbus und Bahn über einen hohen Deckungsgrad“, betont Prof. Dr. Andreas Krämer als Autor der Studie Pricing Lab 2017. Die Studie untersucht u.a. die veränderten Mobilitätsstrukturen und die Preisentwicklung mit Fokus auf den in 2013 liberalisierten Markt für Reisen mit dem Fernbus.
Die Ergebnisse der Studie im Überblick:
Nutzeranteil des Fernlinienbusses erreicht 13 %
Das zunehmende Fahrtenvolumen mit dem Fernbus in Deutschland hat in den letzten Jahren auch zu einem Anstieg des Anteils von Fernlinienbus-Nutzern in der Bevölkerung geführt. In der aktuellen Untersuchung geben 13 % der Befragten an, dass sie in den letzten 12 Monaten eine Fernbus-Reise unternommen haben. Allerdings ist die Nutzungsintensität im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln relativ gering, so dass der Modalanteil des „neuen Angebots“ FLB bei ca. 1-2 % liegt (Anteil des Fernbusses an allen Reisen ab 50 km Entfernung). Tatsächlich weitreichende Strukturveränderungen hat die Marktliberalisierung nur eingeschränkt mit sich gebracht. Kapazitätsreduktionen und Preiserhöhungen haben nach dem Entstehen eines „Quasi-Monopols“ in 2016 für das Unternehmen Flixbus auch zu ersten Sättigungs-Effekten im neuen Markt geführt.
Starke Überlappung zwischen Bahn- und FLB-Nutzern
Die aktuellen Studienergebnisse untermauern eindeutig, wie stark die Ähnlichkeit der Bahn- und Fernbus-Nutzer ist bzw. inwiefern es sich um dieselben Kunden handelt. Drei Viertel der Nutzer von FLB sind auch Bahn-Nutzer – im Kontrast dazu: In der Bevölkerung beträgt der Anteil der Bahnnutzer nur knapp 30 %. Bei einem Perspektivwechsel ergeben sich ähnliche Abhängigkeiten. Gegenüber einem mittleren FLB-Nutzeranteil von 13 % zeigen sich deutlich überdurchschnittliche Anteile bei Befragten unter 30 Jahren (20 %), beim Wohnort in Städten von mindestens 0,5 Mio. Einwohnern (22 %), bei Auszubildenden (28 %) und bei Nutzern der Bahn (33 %). Auch in der Gruppe der BahnCard-Besitzer, den Stammkunden des Bahnfernverkehrs, ist die Fernbus-Nutzung doppelt so häufig wie im Mittel der Bevölkerung.
Potenzial für zusätzliche Reisen bei der Bahn doppelt so groß wie bei FLB
In der Studie wurde zudem für Bahn und Fernbus abgefragt, ob es in den letzten 12 Monaten Situationen gab, in denen das Verkehrsmittel erwogen, aber letztendlich nicht genutzt wurde. Der Erwäger-Anteil liegt für das Verkehrsmittel Bahn mit 21 % etwa doppelt so hoch wie für den Fernbus (11 %). Die Affinität der Fernbus-Nutzer für die Bahn wird auch daran deutlich, dass in dieser Gruppe 40 % der Befragten angeben, Reisen mit der Bahn erwogen zu haben (dieser Anteil ist doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Befragten). Auf der anderen Seite geben 44 % der Befragten an, dass die Nutzung des Fernbusses grundsätzlich für sie nicht in Frage kommt. Dieser „Ablehner-Anteil“ ist seit 2013 deutlich erhöht. Damit wird aber auch deutlich, dass das Angebot von Flixbus nicht jeden Fernreisenden erreicht. Zusätzlich wird erkennbar, dass die anfängliche Euphorie hinsichtlich des „neuen Busangebots“ durch einen Realitätscheck im fünften Jahr nach der Marktliberalisierung deutlich gedämpft ist. Die Weiterempfehlungsabsicht der Bahn- und FernbusKunden ist annähernd gleich gut.
Neues Buch „Fernlinienbusse – eine Erfolgsgeschichte?!“ im ksv-Verlag erschienen
Das Autorenteam der Beratungsgesellschaft exeo (Prof. Dr. Andreas Krämer, Dr. Gerd Wilger und Dr. Robert Bongaerts) – Mit-Initiator der Kooperationsstudie Pricing Lab – hat soeben ein Buch auf den Markt gebracht, dass den in 2013 neu geschaffenen Markt für Reisen mit dem Fernbus im Detail analysiert und die Aspekte Marktbedingungen, Geschäftsmodelle und Entwicklungsperspektiven beleuchtet. Das Buch ist aktuell im ksvVerlag erschienen. Die empirische Basis für das Buchprojekt stammt aus den seit 2013/14 durchgeführten Studien MobilitätsTRENDS und Pricing Lab. „Anhand unserer gemeinsamen Studien, die als kontinuierliche ad-hoc-Erhebungen angelegt sind, zeigt sich, wie auf Basis einer professionellen empirischen Zeitreihenuntersuchung die veränderten Mobilitätsstrukturen in Deutschland aufgezeigt und gleichzeitig Wechselwirkungen in der Nachfrage nach unterschiedlichen Verkehrsmitteln bestimmt werden können. Wir freuen uns, dass wir durch das jetzt erschienene Buch unsere empirischen Daten und Ergebnisse einem breiten Publikum zugänglich machen können“, resümiert Johannes Hercher, Vorstand der Rogator AG und Co-Autor der Studien.
Hintergrund der Studie: Pricing Lab 2017 ist eine Studie zur Ermittlung und Bewertung von Trends im Preismanagement. Sie wird jährlich mehrmals in Kooperation von der exeo Strategic Consulting AG und der Rogator AG durchgeführt. Grundlage der Untersuchung ist eine repräsentative Befragung von ca. 1.000 Personen ab 18 Jahren.
„Fernlinienbusse – eine Erfolgsgeschichte?!“